[berlin / 06.11.2025] so36: augn

nicht mal ein jahr warten, um sich erneut per vollplayback beschimpfen zu lassen – sie wissen einfach, wie sie leute glücklich machen können.
support kommt von einer gummipuppen-band namens „rägi“. es wird also ein qualitativ hochansprechender abend.

die tore öffnen sich um 19:30 uhr, die „konzerte“ starten eine stunde später.

nachbetrachtung

also wenn das ziel daraus bestand, das publikum mit den psychologischen kniffen eines kpdsu-parteitages gehirnzuwaschen, der in ein dreiviertelstündiges finale mit einer urschreitherapie bei grellen lichteffekten gipfelt, muss ich sagen: hat geklappt! ich bin ihnen jetzt völlig ergeben und gehe sogar soweit, dass ich solche messen für das zurechtrücken meines weltbildes einmal jährlich brauche.

halbwegs sachlich: für die premierengäste war das wahrscheinlich eine harte geduldsprobe, aber im großen und ganzen hatte ich den eindruck, dass das publikum besser vorbereitet war als im lido letztes jahr.
natürlich von vorne bis hinten vollplayback, begonnen mit der nicht zitierfähigen ansage zu „rägi“ in endlosschleife. die sind eigentlich nichts anderes als die fortsetzung der schaufensterpuppen-saga, wie sie das publikum vor zweieinhalb jahren im monarch bestaunen durfte: aufblasbare puppen mit abgeklebtem intimbereich. erst bei der musik leuchtete mir ein, dass der bandname lautmalerisch dem dargebotenen stil entspricht. simpel vor sich hergespielter bass, ableton-metronom mit delay, nonsens-vocals mit hall darüber. da soll mir eine*r einen storch braten, wenn das kein beiprodukt einer augn-studiosession ist.
auf instagram hatten sie „nicole“ als zweite „vorband“ angekündigt: eine nackte auf einem mikrofonständer platzierte puppe mit dunkler hautfarbe vor der sowjetfahne, bei der erst ein ausschnitt von sahra wagenknecht bei markus lanz, dann die russische nationalhymne in mehrfacher wiederholung und schließlich (etwas erwartbar, dennoch schön) „ein bisschen frieden“ lief.
danach das comeback der „berlin ist scheiße“-ansage aus dem letzten jahr, um abermals nicht zitierfähige zusätze ergänzt. gefühlt lief die wenigstens eine halbe stunde, wenn nicht sogar länger.

wer bis dahin noch keine grundaggressive stimmung in sich trug, konnte sie dort aufbauen. zugegebenermaßen trug ich diese als hintergrundrauschen bereits im laufe der woche mit mir herum. augn haben mir daher ein ziemlich großes geschenk gemacht, gleich mit „deutsches kino“ anzufangen – konnte ich nach herzenslust mitschreien und war damit nicht alleine.
nach einer dreiviertelstunde war das ganze auch schon wieder vorbei – mit dem wermutstropfen, dass die alten sachen nicht dabei waren. „berghain“ oder „habibi“ wären schon noch gegangen, „mach platz du *****“ hätte nicht unbedingt sein müssen, hat aber auch damit zu tun, dass das stück für mich auf dem album kein höhepunkt ist. gilt eigentlich auch für „satan“, aber da war ich überrascht, wie gut das „live“ funktioniert. „johnny“ hatte ich aufgrund seiner herrlichen absurdität in den tagen zuvor häufiger gehört, also hat’s mich sehr gefreut, dass das kam. auch recht konstanter moshpit in der letzten viertelstunde – den gab es im lido nur vereinzelt.
zwei mir unbekannte titel waren im set, ich verpasse denen einfach mal die arbeitstitel „ricarda lang“ und „russland“. lässt raum für spekulationen: da beide noch nicht veröffentlicht sind, könnte es ein anzeichen für etwas noch folgendes sein, obwohl die beiden „alben“ erst seit september draußen sind. nichtsdestotrotz: beide geil, bitte nicht konzertexklusiv lassen.
auch wenn die – richtig geraten: nicht zitierfähigen – provokationen in den ansagen irgendwann mal durchschaubar waren: eine super gelegenheit, politisch inkorrekte persönlichkeitsanteile (die mensch als woker bauchlinker gerne mal verdrängt, weil sich das ja nicht gehört – und mit „mensch“ meine ich mich) ungehemmt ausleben zu können. zwar hatte das auf den letzten beiden augn-alben für mich zunächst einen „geht’s vielleicht etwas weniger ordinär?“-beigeschmack, aber mit ein paar wochen abstand dazwischen ist das eine gekonnt gezündete nächste eskalationsstufe, die ihrem eigentlichen ansinnen in nichts nachsteht: protagonist*innen jeglicher moralischer oder gesellschaftlicher schieflagen den spiegel vorhalten, und bei salz in der wunde noch eine ladung mehr draufstreuen.
in ihrer völligen anti-haltung, gepaart mit bissigkeit und direktheit sind augn für mich aktuell nicht zu übertreffen (und wenn doch, lasst es mich gerne wissen). angesichts der nicht kleiner werdenden anzahl an missständen hoffe ich sehr, dass ihnen nicht die lust daran vergeht, ihren senf (eigentlich ist das eine chili-soße mit wenigstens 500.000 scoville) dazuzugeben und würde mir gerne zwei (drei, vier) tickets für ihr konzert nächstes jahr sichern.

iconic!

[berlin / 30.11.2024] lido: augn

zählen zur kategorie „erst nicht verstanden, dann hat’s klick gemacht und fast alles von ihnen ist toll“. wird schwierig, deren texte mitzusprechen, aber manch eingängige refrains gibt es dann doch. und die ungewissheit darüber, was nun passieren wird.

augn

einlass um 19 uhr, startet eine stunde später.

nachbetrachtung

„berlin ist scheiße.“
„der islam gehört zu deutschland.“

ward so ähnlich wohl bereits auf der fusion anno 2024 zu hören, insofern wiederholen auch sie sich. das lief bereits in der stunde vor konzertbeginn in endlosschleife in einem rot beleuchteten lido mit reichlich nebel, in dem sich das konterfei von tom cruise auf dem bühnenbanner abzeichnete.

nichts an der show ist live. würde bei der besetzung mit sänger und bassist und der instrumentierung auch nicht gehen. mensch kann froh sein, wenn sie überhaupt in leibhaftiger form auftauchen – so war’s dieses mal. plus „hendrik“ bei „berghain“ als eintänzer.
augn zielen nicht darauf, sich freund*innen zu machen. sie halten spiegel vor – und treffen genau diejenigen damit, die sich als moralische instanz oder puristisch gerieren wollen. die „konzerte“ sind daher der konsequente mittelfinger in richtung götzenanbetung oder die fixierung auf bühnenpersönlichkeiten, wie es sich in manchen ihrer stücke auch zeigt („a&r“ oder „beyonce“ – beides im set). und wer dann noch nicht abgeschreckt ist, wird mit den von einer computerstimme vorgetragenen ansagen auf den härtetest gestellt, wie reizbar mensch in der eigenen politischen korrektheit sein kann. es ist nicht zu viel verraten, dass diese vor der tür bleibt.

schluss war nach 50 minuten. spätestens bei „gottesdienst in neukölln“ als stück vor der „zugabe“ wurde deutlich, dass sie das ganze gewese um personenkult als farce sehen und traten bei dem drumloop in der zugabe wie angekündigt auch gar nicht erst mehr auf die bühne.

genau wie ihre alben: großartig, entlarvend, polarisierend. und über eine gute pa klingt’s sogar richtig gut. ich wäre sofort wieder dabei.